Über Franz Liszt

„Genie verpflichtet!” („Génie oblige!”) – das war der Leitsatz des einzigen auch weltweit zu den Größten gezählten ungarischen Musikers, Franz Liszt. Nach diesem Motto entfaltete er zu seiner Zeit im weiten Kreise seine exzellenten Fähigkeiten als einer der bedeutendsten und effektivsten Pianisten aller Zeiten, als kühner Komponist von großer Erfindungsgabe, Dirigent, Pädagoge und Musikschriftsteller. Als treuer Sohn Ungarns assimilierte er mit unvergleichlicher Aufgeschlossenheit Werte, denen er im Laufe seines bewegten Lebens in den verschiedensten Ländern Europas begegnete, zugleich trug er selbstlos und äußerst wirkungsvoll auf dem ganzen Kontinent zur Entwicklung der musikalischen Kultur bei.

Das kleine burgenländische Dorf, in dem er vor 200 Jahren als Kind deutschsprachiger Eltern zur Welt kam, liegt heute im österreichischen Burgenland. Der musikalische Vater, Adam Liszt, Verwaltungsbeamter des Fürsten Esterházy, tat alles, um dem bereits mit neun Jahren in Ödenburg und Pressburg auftretenden Wunderkind eine musikalische Karriere zu ebnen, die dessen Talent entsprach. Er nahm selbst die völlige finanzielle Unsicherheit in Kauf und brachte seinen Sohn nach Paris, nachdem dieser zuvor beinahe anderthalb Jahre in Wien beim ehemaligen Beethoven-Schüler Carl Czerny und bei Mozarts Rivalen, Antonio Salieri, studiert hatte. Ein Abschied von seinen Landsleuten, die er dann für lange Zeit nicht mehr sehen sollte, fand durch Konzerte im Mai 1823 in Pest statt. Die Pariser Jahre wirkten belebend auf den vom konzertierenden, komponierenden Wunderkind über die seelischen Krisen der Pubertät zum Mann reifenden Liszt, der sich danach am liebsten auf Französisch ausdrückte. Mit viel Übung, Lesen und harter Arbeit formte er sich zum ausgereiften Künstler. Seine Verbindung zu geistigen Strömungen seiner Zeit (darunter die utopische Gesellschaftsphilosophie und der liberale Katholizismus von Lammenais), und zur literarischen und künstlerischen Prominenz (Hugo, Lamartine, Dumas, Sand, Balzac, Heine, Delacroix), bereicherten sein allgemeines Blickfeld. Zur Vervollkommnung seiner Klaviertechnik spornte ihn Paganinis Geigenspiel an, während die Fantastische Symphonie von Berlioz seine Entschlossenheit bezüglich der Programmmusik stärkte. Große Wirkung hatte auf ihn auch seine Freundschaft mit Chopin, dessen Klavierwerke er, zusammen mit jenen von Schumann, den er erst später kennenlernen sollte, als das Höchste einschätzte.

Der in den aristokratischen Salons wie in den Konzertsälen gleichermaßen beliebte Liszt lernte im Jahre 1833 die Gräfin Marie d‘Agoult (1805–1876, geborene Flavigny) kennen, die zu seiner großen Liebe und zu seiner ersten Lebensgefährtin werden sollte. Zwischen 1835 und 1839 lebten die beiden, mit kurzen Unterbrechungen, in der Schweiz und in Italien, und dies trug zu einer zusätzlichen Erweiterung von Liszts geistigem Horizonts bei. Während dieser Wanderjahre wurden ihre Kinder geboren: Blandine (1835–1862) in Genf, Cosima (1837–1930) in Como und Daniel (1839–1859) in Rom. Die in der Pariser Presse veröffentlichten, literarisch anspruchsvollen Reisebriefe, Ideen, und Beschreibungen zu vielen großen Kompositionen können mit dieser Periode in Verbindung gebracht werden. Die große Flut in Pest hat in Liszt das bereits beinahe vergessene Gefühl der Zugehörigkeit zur ungarischen Nation wiedererweckt. Mit der sehr erfolgreichen Konzertreihe in Wien, zugunsten der Flutopfer, begann eine fast zehn Jahre währende Periode, in der er durch seine Konzerte fast alle europäischen Länder eroberte. Er ragte auch unter allen anderen Klaviervirtuosen jener Zeit hervor, dank außergewöhnlicher Technik und einer großartigen Improvisationsfähigkeit, die sich mit seiner fesselnden Persönlichkeit paarten. Sein Spiel rief in den Kreisen seiner Bewunderer eine wahrhaftige ‚Lisztomanie‘ hervor. Mit eigenen, virtuosen, auf beliebten Opern begründeten Fantasien, Bearbeitungen nationaler Melodien, Liedbearbeitungen und überhaupt wirkungsvollen Stücken, entrichtete er den Bedürfnissen des Publikums einen Zoll, nahm aber auch die eine oder andere Komposition der von ihm hochgeschätzten Vorläufer (Beethoven, Schubert, C. M. von Weber) oder Zeitgenossen in sein Repertoire auf. Anstatt der zuvor gewöhnlich gemischten Programme gab er 1839 das erste Mal ein komplettes Konzert ausschließlich auf dem Flügel („Das Konzert bin Ich”), und er ließ durch seine Klaviertranskriptionen der Symphonien von Beethoven und Berlioz auf seinem Instrument den Klang eines ganzen Orchesters authentisch nachempfinden.

Als Liszt als anerkannter Künstler zur Jahreswende von 1839 zu 1840 zum ersten Mal nach Ungarn zurückkehrte, stellte er sich in Pest und in Preßburg (in seinem Leben zum ersten Mal) auch als Dirigent vor. Mit Einnahmen seiner außerordentlich erfolgreichen Konzerte unterstützte er auch die Projekte des Nationaltheaters und des Konservatoriums, die in Pest eröffnet werden sollten. Er wurde als ein wahrer Vertreter der aufstrebenden ungarischen Nation empfangen, wie es Vörösmartys Ode „An Franz Liszt” bestens ausdrückt: „Geselle dich zu uns und wir sagen: Gott sei Dank! Die Nation von Árpád hat noch Seele!”. Und das spürte auch Liszt: „Woanders habe ich‘s immer mit Publikum zu tun, aber in Ungarn spreche ich zur Nation!” Sein längerer Besuch im Jahre1846, im Zuge dessen er zahlreiche Städte des Landes durchstreifte und sogar bis nach Transsilvanien kam, konnte sein Gefühl der Landeszugehörigkeit noch zusätzlich stärken. Aus den beiden Aufenthalten in Ungarn sollten sich für ihn zahlreiche Freundschaften fürs Leben ergeben wie auch die Gelegenheit die vor allem von Zigeunern vorgetragene „Verbunkos” und „Csárdás”-Musik, ungarische, volkstümliche Kunstlieder und auch seltene Volkslieder kennenzulernen. Liszt spielte in den 1840-er Jahren europaweit seine auf ungarischen Melodien basierenden Bearbeitungen – Vorstufen zu den späteren ungarischen Rhapsodien.

Marie d‘Agoult beendete im Jahre 1844 ihre Beziehung mit Liszt, der die Erziehung der gemeinsamen Kinder nun seiner Mutter und Erziehern überließ, während er selbst seine mit langen Reisen verbundene Konzerttätigkeit fortsetzte, um für seine Familie zu sorgen. Dabei lernte er im Februar 1847 in Kiew die Fürstin Carolyne von Sayn-Wittgenstein (1819–1887), geborene Iwanowska, kennen. Liszt wünschte sich mittlerweile bereits mehr Ruhe und Beständigkeit, um sich auch als Komponist verwirklichen zu können. Dazu bot ihm Weimar, Hauptstadt des Herzogtums Sachsen-Weimar, mit ihrer großen kulturellen und künstlerischen Tradition, eine ideale Möglichkeit. Er erhielt vom Herzog schon 1842 den Titel eines „Kapellmeisters im außerordentlichen Dienste”, ließ sich dort aber erst nach Beendigung seiner Virtuosen-Laufbahn Anfang 1848 nieder.  Die sehr reiche Carolyne, die im Alter von siebzehn Jahren in eine Ehe gezwungenem worden war und nun von ihrem Mann getrennt lebte, glaubte fest an die kompositorische Begabung Liszts und unternahm alles, um deren Entfaltung zu fördern. Zusammen mit ihrer zehnjährigen Tochter folgte sie ihm 1848 nach Weimar und wurde seine zweite Lebensgefährtin. Da sie tief religiös war, führte sie einen langen, äußerst erbitterten Kampf, um die Auflösung ihrer früheren Ehe zu erreichen und Liszt heiraten zu können. Auch bis sich dies verwirklichen würde, schuf sie für ihn ein Zuhause, das – trotz des Namens „Altenburg” – bald zum Symbol einer neuen, „jungen“ Richtung avancierte, zur Hochburg und zum Treffpunkt von Künstlern, die gegen den spießbürgerlichen Geist rebellierten, und so ein neues Weimar darstellten. Talentierte Schüler wie Hans von Bülow (später Liszts Schwiegersohn), Hans von Bronsart, William Mason, Alexander Winterberger, Carl Klindworth, Carl Tausig, Antal Siposs, und viele andere, bekamen hier selbstlose Hilfe zu Beginn ihrer Laufbahn.

Liszt wollte Weimar, die Stadt Goethes und Schillers, nach Jahrzehnten des Niedergangs wieder zum Zentrum hervorragender, auserlesener Kunst, vor allem von Musik, machen. Als Hofkapellmeister erweiterte er das Repertoire: Neben der Pflege des klassischen Erbes – hauptsächlich Beethovens – führte er im Musiktheater wie auch bei Konzerten zahlreiche exzellente zeitgenössische Kompositionen auf. Der Reihe nach stellte er dem Publikum die Opern und die symphonischen Werke von Schumann, Berlioz, Wagner, Meyerbeer, Verdi, Flotow, Raff, Rubinstein und Cornelius vor. Besonders wichtig war für ihn die moralische und finanzielle Unterstützung des wegen seiner revolutionären Aktivität aus Deutschland verbannten Richard Wagner, dessen epochales Genie Liszt schon früh erkannt hatte: Nach der erfolgreichen Aufführung des Tannhäuser (1849) bereitete er die Uraufführung des Lohengrin vor und nahm den Fliegenden Holländer wie den Rienzi ebenso ins Programm. Durch die Veröffentlichung von Aufsätzen und Artikeln ebnete er zudem das Terrain für das grandiose Projekt Wagners Der Ring des Nibelungen.

 

Auch in Sachen eigener Komposition bedeutete Weimar für Liszt einen großen Fortschritt. In dieser Periode stellte er mehrere früher in Angriff genommene und in frühen Fassungen teilweise bereits vorliegende Werke fertig, so Klavier-Zyklen (Transzendentale Etüden, Paganini-Etüden, Dichterische und Religiöse Harmonien, Consolations, 15 Ungarische Rapsodien), den ersten, Schweizer, und den zweiten Italienischen Band der Pilgerjahre, den letzteren mit der grandiosen Dante-Sonate. Neben mehreren neuen bedeutenden Klavier- und Orgelwerken (unter ihnen das Scherzo und Marsch, die Ad nos-Fantasie und Fuge) entstand in dieser Zeit die inhaltlich und formtechnisch neuartige H-moll Sonate, eines der herausragenden Klavierstücke des 19. Jahrhunderts. Liszt unternahm schon früh Versuche mit Orchesterwerken (zum Beispiel mit der 1845 zur Einweihung des Bonner Beethoven-Denkmals komponierten Kantate), und es ist lediglich eine verbreitete Legende, dass er am Anfang seiner Weimarer Zeit von Mitarbeitern, wie August Conrad und Joachim Raff, die Instrumentationskunst gelernt hätte. Wie auch immer steht es außer Zweifel, dass die symphonische Musik damals seine volle Aufmerksamkeit einnahm. Seine Instrumentation wurde durch seine regelmäßige Arbeit mit dem Orchester feiner, aber was noch wichtiger ist: Es gelang ihm, die grundlegende Frage zu bewältigen, wie es mit symphonischer Musik nach Beethoven weitergehen konnte. Mit den in Weimar entstandenen, einsätzigen, programmatischen Orchesterwerken, den zwölf symphonischen Dichtungen (unter ihnen Tasso, Mazeppa, Les Préludes, Orpheus, Prometheus), schuf er eine neue Gattung.

Auf die entsprechenden literarischen und künstlerischen ‚Programme‘, die den geistigen Hintergrund beleuchten, deuten, abgesehen von den relativen Titeln, oft auch die Vorworte der Partituren hin. Liszt bereicherte gleichermaßen die von Berlioz erschaffene Form der mehrsätzigen Programmsymphonie mit zwei imposanten Werken (Faust- und Dante-Symphonie), beide enthalten auch einen Schlusschor. Ebenfalls in der Weimarer Periode bekamen Liszts zwei bekannte Klavierkonzerte ihre endgültige Gestalt, und wurden auch aufgeführt: das 1. (Es-dur) und das 2. (A-dur). Auf dem Gebiet der Kirchenmusik schuf er ebenso ein Meisterwerk, eine festliche Messe mit Orchesterbegleitung (Missa Solennis), die er für die Einweihung der Basilika in Gran (31. August 1856) komponierte. Im Zusammenhang mit den Proben und der mehrmaligen Aufführung der Graner Messe hielt sich Liszt für fünf Wochen in Ungarn auf. Bei dieser Gelegenheit wurde auch die Pester Hermina-Kapelle mit seiner Messe für Männerchor mit Orgelbegleitung eingeweiht; in einem Orchesterkonzert dirigierte er seine symphonischen Dichtungen Hungaria und Les Préludes, die vom Publikum mit sehr großer Begeisterung aufgenommen wurden. Während dieses Aufenthaltes bat er übrigens um die Aufnahme in den weltlichen Franziskanerorden der Pester Minoriten, zu denen er seit seiner Kindheit eine gute Beziehung gepflegt hatte. Die Urkunde, die ihn als „Confrater“ bestätigte, nahm er dann zwei Jahre später, bei einer erneuten Reise in die Heimat (nach Aufführungen der Graner Messe) entgegen. Als Gastdirigent trat Liszt nicht nur in Ungarn auf: Er wurde, über eigene Konzerte hinaus, in verschiedene deutsche Städte oft und auch zu Festivals eingeladen (Ballenstedt, Karlsruhe, Aachen); und in seiner Programmgestaltung nahm neben selten gespielten Werken der Klassik auch die zeitgenössische Musik immer einen hervorragenden Platz ein. Auf der anderen Seite, unter anderem wegen seines sich aufs Wesentliche konzentrierenden Dirigierstils („Wir sind Steuermänner, keine Ruderknechte!”), seiner von der Konvention abweichenden Programme, wie auch der wegen seiner neuartigen Werke sich um ihn scharenden jungen Musiker, wurde ihm von den Anhängern der konservativen musikalischen Richtung viel an Unverständnis und an Angriffen zuteil. Brahms, Joachim und weitere namhafte Musiker nannten seine Musik, und die von seiner Gruppe, in einer Presseerklärung im Jahre 1860 spöttisch „Zukunftsmusik” und distanzierten sich davon.

Ende der 1850-er Jahre musste Liszt einsehen, dass seine großartigen Pläne bezüglich einer neuen, großen Epoche Weimars, dessen geistige Führer Wagner und er hätten werden sollen, „von der Kleinlichkeit bestimmter lokaler Verhältnisse und allerlei äußerer und hiesiger Eifersucht verhindert” wurde. Er kündigte seine Stelle als Kapellmeister und zog sich von der musikalischen Öffentlichkeit Weimars nach und nach zurück. Sein Interesse wandte sich immer mehr der Kirchenmusik zu, er begann die Komposition des Elisabeth-Oratoriums. Er legte sich Rechenschaft über sein bisheriges Schaffen ab und ordnete viele seiner zuvor geschriebenen Lieder und Stücke neu ein, um sie für Männerchor zu setzen und in dieser überarbeiteten Form zu verlegen. Im August 1861 nahm er noch am Weimarer Musikfestival teil, bei der Gelegenheit wurde die Allgemeine Deutsche Musikgesellschaft gegründet, die seine Ideen weitervermitteln sollte (die Arbeit von dieser verfolgte er dann bis an sein Lebensende sehr aufmerksam, wohnte auch oft den jährlich in verschiedenen Städten veranstalteten Festivals bei). Anschließend folgte er der Fürstin Carolyne von Sayn-Wittgenstein nach Rom, die sich bereits zuvor dorthin begeben hatte. Ihre lange geplante Eheschließung wurde im letzten Augenblick durch eine gemeine Intrige vereitelt; daraufhin verzichteten sie endgültig auf die Ehe und auf ein Zusammenleben und blieben beide in Rom. In dieser neuen, ruhigeren Phase seines Lebens, in der er oft in einfachen Klöstern wohnte, konnte Liszt endlich sein Elisabeth-Oratorium und seine beiden Franz-Legenden zu Ende bringen und begann mit der Komposition der Sonnenhymne des Heiligen Franziskus sowie des Christus-Oratoriums. Zugleich entstanden aber auch zahlreiche instrumentale Stücke, wie Zwei Konzertetüden (Waldesrauschen, Gnomenreigen), oder der Mephisto-Walzer Nr. 1 (welcher in Wirklichkeit die Klavierfassung der zweiten nach Lenaus Faust für Orchester geschriebenen Zwei Episoden ist).

Der ursprünglich wesentlich früher komponierte Totentanz für Klavier und Orchester, eine Paraphrase des gregorianischen Dies irae, wurde erst jetzt aufgeführt und herausgegeben. Liszt hatte sich schon immer für die Frage einer Reform der katholischen Kirchenmusik interessiert, sie beschäftigte ihn in Rom aber besonders, er hätte dabei gern eine bedeutende Rolle gehabt. Dazu wurde er jedenfalls auch von Papst Pius IX. ermuntert, der ihn in seiner Klosterherberge besuchte, sich sein Klavierspiel anhörte, und ihn „Mein lieber Palestrina” nannte. Liszt studierte die gregorianische Musik und den kirchenmusikalischen Stil des 16. Jahrhunderts eingehend, auf diese wollte er bei seiner Reform zurückgreifen. Er bemühte sich stets darum, seine religiösen Kenntnisse zu vertiefen, und schließlich nahm er 1865, nach reiflicher Überlegung und ernsthaften Vorbereitungen, die vier niederen kirchlichen Weihen, die ihn neben einem gewissen religiösen Lebenswandel zu kleineren liturgischen Diensten berechtigten. Er wäre gern Kapellmeister im Vatikan geworden, aber zum Priester wollte er nicht werden, selbst wenn er von da an immer ein Priestergewand trug und „Abbé Liszt” genannt wurde.

Als „Abbé Liszt” trat er dann zuerst in Ungarn im August 1865 vor die Öffentlichkeit, bei der Vierteljahrhundert-Feier der Nationalen Musikschule (Konservatorium). An der Entstehung dieser Institution hatte er schon 1840 und 1846 mit bedeutenden Geldspenden teilgenommen, und nun brachte er sein neues Oratorium, die Legende der Heiligen Elisabeth, als Geschenk mit. Das deutschsprachige Werk wollte er ursprünglich in der im Weimarer Herzogtum gelegenen Wartburg zum ersten Mal erklingen lassen (wo die ungarisch-deutsche Heilige gelebt hatte), jedoch fand die Uraufführung dann am 15. August 1865 im Konzertsaal der Pester Redoute (Pesti Vigadó) auf Ungarisch, in Kornél Ábrányis Übersetzung, statt.

Nach dem riesigen Erfolg dirigierte Liszt auch eine zweite Aufführung und erfreute seine Landsleute ebenso durch sein Klavierspiel, in einem Wohltätigkeitskonzert, an dem auch Hans von Bülow und Ede Reményi teilnahmen. (Nach Ende seiner Karriere als Virtuose gab er öffentliche Konzerte ausschließlich zum wohltätigen Zweck, doch war es allerseits bekannt, dass er stets gewillt war, die Notleidenden und Entbehrenden, wie auch wichtige künstlerische Ziele zu unterstützen.)

Zur auf den österreichisch-ungarischen Ausgleich im Jahre 1867 folgenden Krönung von Franz Josef  und Elisabeth zu König und Königin von Ungarn  hatte Liszt eine Festmesse komponiert; aber nur aufgrund des Zusammenhaltes heimischer Musiker und öffentlicher Persönlichkeiten, sowie der Kaiserin Elisabeth, konnte man erreichen, dass dazu am 8. Juni 1867, in der Liebfrauenkirche (Nagyboldogasszony templom, bekannt als Matthiaskirche) auf dem Burghügel zu Buda, nicht das Werk des Wiener Hofkapellmeisters, sondern seine Ungarische Krönungsmesse erklang. Die Messe wurde von Wiener Musikern aufgeführt, und Liszt war lediglich als Zuhörer auf der Galerie anwesend. Mit ungarischen Musikern, unter Leitung des Komponisten, erklang die Messe in Pest dann erst zwei Jahre später, so konnte auch Ede Reményi erst bei dieser Gelegenheit selbst mit dem für ihn geschriebenen Geigensolo brillieren.

Liszt, der in der Zwischenzeit zahlreiche Schicksalsschläge erleiden musste (seinen Sohn Daniel verlor er 1859, seine Tochter Blandine 1862 und seine Mutter 1866, während seine Tochter Cosima 1868 ihren Ehemann Bülow endgültig verließ, um ihr Leben mit Wagner zu teilen), erhielt am Ende nicht die gehoffte kirchenmusikalische Position in Rom, doch erklärte er sich bereit, auf Ermutigung des Großherzogs von Weimar, Carl Alexander, ohne jegliche Verbindlichkeit jährlich einige Monate wieder in Weimar zu verbringen.

In dem ihm zur Verfügung gestellten Domizil in der Hofgärtnerei umgaben ihn bald wieder ein spannendes, geschäftiges, Musikleben und ein Heer von Schülern. Von da an begann sein „dreigeteiltes Leben”, im Zuge dessen er sich regelmäßig in Weimar, Rom und Pest (ab 1873 Budapest) aufhielt. Während seiner Aufenthalte in Rom war er häufig Gast des Kardinals Gustav Hohenlohe, in dessen Villa d‘Este in Tivoli, in der Nähe von Rom.

Zur auf den österreichisch-ungarischen Ausgleich im Jahre 1867 folgenden Krönung von Franz Josef  und Elisabeth zu König und Königin von Ungarn  hatte Liszt eine Festmesse komponiert; aber nur aufgrund des Zusammenhaltes heimischer Musiker und öffentlicher Persönlichkeiten, sowie der Kaiserin Elisabeth, konnte man erreichen, dass dazu am 8. Juni 1867, in der Liebfrauenkirche (Nagyboldogasszony templom, bekannt als Matthiaskirche) auf dem Burghügel zu Buda, nicht das Werk des Wiener Hofkapellmeisters, sondern seine Ungarische Krönungsmesse erklang. Die Messe wurde von Wiener Musikern aufgeführt, und Liszt war lediglich als Zuhörer auf der Galerie anwesend. Mit ungarischen Musikern, unter Leitung des Komponisten, erklang die Messe in Pest dann erst zwei Jahre später, so konnte auch Ede Reményi erst bei dieser Gelegenheit selbst mit dem für ihn geschriebenen Geigensolo brillieren.

 

Liszt, der in der Zwischenzeit zahlreiche Schicksalsschläge erleiden musste (seinen Sohn Daniel verlor er 1859, seine Tochter Blandine 1862 und seine Mutter 1866, während seine Tochter Cosima 1868 ihren Ehemann Bülow endgültig verließ, um ihr Leben mit Wagner zu teilen), erhielt am Ende nicht die gehoffte kirchenmusikalische Position in Rom, doch erklärte er sich bereit, auf Ermutigung des Großherzogs von Weimar, Carl Alexander, ohne jegliche Verbindlichkeit jährlich einige Monate wieder in Weimar zu verbringen.

In dem ihm zur Verfügung gestellten Domizil in der Hofgärtnerei umgaben ihn bald wieder ein spannendes, geschäftiges, Musikleben und ein Heer von Schülern. Von da an begann sein „dreigeteiltes Leben”, im Zuge dessen er sich regelmäßig in Weimar, Rom und Pest (ab 1873 Budapest) aufhielt. Während seiner Aufenthalte in Rom war er häufig Gast des Kardinals Gustav Hohenlohe, in dessen Villa d‘Este in Tivoli, in der Nähe von Rom.

Ferner unternahm er wieder zahlreiche kleinere Reisen, um an wichtigeren musikalischen Ereignissen teilzunehmen und nahm manchmal auch persönliche Einladungen an. In seinen Wanderjahren wurde für ihn sein Heimatland allerdings zu einem immer bedeutenderen Bezugspunkt. 1870 verbrachte er zu zwei Gelegenheiten insgesamt neun Monate in Ungarn (einen Teil davon bei seinem liebsten ungarischen Freund, Baron Antal Augusz, auf dessen Gut in Szekszárd, wo er in der Vergangenheit schon oft Gast gewesen war). Er dirigierte beim Budapester Festkonzert zum Beethoven-Zentenarium, organisierte Matineen an der Pester-Innenstädtischen Pfarrei, wo ihm regelmäßig eine Unterkunft zur Verfügung stand, bis er sich schließlich im November 1871 in einer Wohnung in der Nádorstraße einlogierte. Die ungarische Presse veröffentlichte zahlreiche Artikel über seine Ansiedlung in Ungarn, sein Name bleibt zudem untrennbar mit der Gründung der Musikakademie verbunden, die, dank seiner geistigen Leitung, eine musikalische Ausbildung der höchsten Stufe in Ungarn ermöglichte.

Im Jahre 1871 wurde er zum königlichen Hofrat ernannt, und es wurde ihm eine jährliche Apanage von 4000 Forint zugesprochen. Zwar war er somit offiziell zu nichts verpflichtet, aber er setzte sich mit noch größerer Begeisterung für die Belange der Musikakademie ein. „Man darf mir wohl gestatten, dass trotz meiner beklagenswerten Unkenntnis der ungarischen Sprache ich von Geburt bis zum Grabe im Herzen und Sinne Magyar verbleibe, und demnach die Kultur der ungarischen Musik ernstlich zu fördern wünsche.” – schrieb er an Augusz am 7. Mai 1873.

Die Bindung zu seiner Heimat hat die unvergleichliche Liebe gestärkt, mit welcher er sein fünfzigjähriges Künstlerjubiläum im November 1873 in Budapest in die Wege leitete. Sein kirchenmusikalisches Hauptwerk, das grandiose Christus-Oratorium wurde erstmals ohne Kürzungen unter der Leitung von János Richter (dem später unter dem Namen Hans Richter weltweit bekannt gewordenen Dirigenten) aufgeführt; Henrik Gobbi komponierte eine Kantate, die Hauptstadt Budapest gründete zu seinen Ehren das Liszt-Stipendium. Als Dank gab Liszt die schönsten Gedenkgegenstände seiner Karriere dem Nationalmuseum.

Die Ungarische Königliche Musikakademie wurde nach langem hin und her schließlich am 14. November des Jahres 1875 mit Franz Liszt als Präsident, Ferenc Erkel als Direktor, Kornél Ábrányi als Generalsekretär sowie den Lehrkräften Robert Volkmann und Sándor Nikolits eröffnet. Die große Verspätung war hauptsächlich der Tatsache geschuldet, dass erheblich bescheidenere finanzielle Mittel zur Verfügung standen als ursprünglich geplant. Erkels selbstlose, ausdauernde Arbeit, gepaart mit Liszts internationalem Ansehen, halfen die Institution über die anfänglichen Schwierigkeiten hinweg, und die Zahl der Studenten und die der Lehrgänge begann stufenweise zu wachsen. Im Jahre 1879 zog man aus dem ersten, bescheidenen Mietobjekt am Fischplatz in das wesentlich größere Gebäude an der Radialstraße um (dies ist die heutige „Alte Musikakademie“ an der Ecke von Andrássy út und Vörösmarty utca). Liszt unterrichtete seine in- und ausländischen Schüler ohne Gebühr in seiner ihm kostenlos zur Verfügung gestellten Dienstwohnung, und zwar in einer Weise, die das System der heutigen Meisterkurse in Gruppen vorwegnimmt. Seine letzte Wohnung in Budapest ist das heutige Franz Liszt Gedenkmuseum, in dem seine der Musikakademie vermachten Instrumente, Bücher- und Notensammlung zu betrachen sind.

In seinem „dreigeteilten Lebens” sollte sich der Stil des komponierenden Liszt bedeutend vereinfachen, die zukunftsweisenden Elemente gelangten immer stärker in Vordergrund. Der Band Pilgerjahre III – ohne Untertitel – deutet auf eine seelische Reise hin. Der 1883 herausgegebene, zwar größtenteils eher in den 1870-er Jahren entstandene Zyklus enthält ebenso klageliedartige Sätze (Die Zypressen der Villa d'Este I-II, Trauermarsch, Sunt lacrymae rerum – letzteres in der ‚ungarischen Tonfolge‘ – wie seine den musikalischen Impressionismus antizipierende ‚Wassermusik‘ (Die Wasserspiele der Villa d'Este), die sich, mit einem Zitat aus dem Evangelium, gleichzeitig an die die Serie eröffnenden und beendenden religiösen Stücken anschließt. Der Entwicklung seiner Kirchenmusik, die einerseits von erstaunlich modernen Klängen, andererseits von vollkommener Entmaterialisierung charakterisiert ist – die manchmal sogar den Minimalismus vorwegnimmt – konnten schon die Anhänger der damaligen kirchenmusikalischen Reformbewegung (Cäcilianismus) nicht mehr folgen. So wurden mehrere seiner kirchenmusikalischen Werke, unter ihnen auch seine meditative Passionsmusik, die Via Crucis, zu seinen Lebzeiten weder aufgeführt noch herausgegeben.

In seiner Klavier- und Kammermusik sind, neben trübseligen, trauernden, oft gewollt bruchstückhaften, unvollendet wirkenden Stücken (Graue Wolken, Unstern, 1-2. Trauergondel, R. W. - Venezia, Am Grabe Richard Wagners) und desillusionierten, geistreich ironischen Werken (Mephisto-Polka, Mephisto-Walzer Nr. 2–4.), oftmals nostalgische Rückblicke (Elegie Nr. 1 und 2, Vergessene Romanze, Vier Vergessene Walzer, Weihnachtsbaum Klavierzyklus) zu finden. In seinem Alterswerk mit ungarischem Bezug erscheinen die stilisierten, in heißblütigen, wirkungsvollen Stücken verwendeten ungarischen Elemente entblößt und in neuartiger tonartlich-harmonischer Struktur. „Darf man solch ein Ding schreiben oder anhören?” – schrieb er selbst auf das Manuskript des Csárdás macabre, der bis 1951 nie verlegt wurde. Die letzte symphonische Dichtung, die durch die Zeichnung von Mihály Zichy inspirierte Von der Wiege bis zum Grabe, ist auch im Hegelschen Sinn ein Erbe und Abschluss der großen symphonischen Dichtungen und Programmsymphonien der Weimarer Zeit. Das durch einen längeren Entstehungsprozess von der Ein- zur Dreisätzigkeit gewachsene, ungewöhnlich sparsam instrumentierte Werk zeigt durch thematisch-motivischen Zusammenhänge, dass das Grab in Wirklichkeit die Wiege des ewigen Lebens ist.

Liszt wurde in seinen letzten Jahren, neben Anerkennungen und Ehrungen, auch vieles an unwürdigen Angriffen, Verleumdungen und Unannehmlichkeiten zuteil. Die Entwicklung seiner Musik wurde von vielen als der Untergang von Schaffenskraft betrachtet (wir wissen aus Cosimas Tagebuch, dass selbst Wagner – dem Liszt bei seinen Bayreuther Plänen stets mit größter Kraft half – schon dem Christus-Oratorium gegenüber sich verständnislos zeigte). Auch sein wohlwollendes, poetisches, aber wissenschaftlich unbegründetes Buch Über die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn traf bereits bei der ersten Erscheinung (auf Französich: 1859, auf Ungarisch: 1861) auf regen Widerstand, aber die zweite Ausgabe von 1881, die von der Fürstin Carolyn Sayn-Wittgenstein (entgegen Liszts Gesinnung) mit antisemitischen Details ergänzt wurde, stimmte einen großen Teil der ungarischen Presse besonders gegen den Komponisten. Das für die Eröffnung des Opernhauses komponierte Ungarische Königslied wurde bei der Eröffnung 1884 nicht aufgeführt, weil die Intendanz befürchtete, dass die Melodie des verwendeten Rákóczi-Liedes, trotz des loyalen Textes an das Herrscherpaar, anecken würde. Es ist indessen bezeichnend, dass Liszt letztens eben diese Melodie wählte als ihn sein Freund und Lehrerkollege an der Musikakademie, Kornél Abrányi, für einen Artikel um eine handschriftliche Beigabe bat. „Als treuer Sohn meiner Heimat - Franz Liszt”- schrieb er in ungarischer Sprache unter das mit Noten ausgestattete Gedenkblatt.

Der kränkelnde, zudem von verschlechtertem Sehvermögen geplagte Liszt ging im Jahre 1886 noch eilig verschiedenen Einladungen nach, unternahm auch eine große Rundreise in West-Europa, wo seine Werke – darunter auch die Legende der Heiligen Elisabeth und die Graner Messe in Paris und in London – mit riesigem Erfolg aufgeführt wurden. Mihály Munkácsy malte sein berühmtes Portrait und lud ihn anschließend zur Erholung in sein Luxemburger Schloss nach Colpach ein. Liszt reiste von hier nach Bayreuth, wo er am 21. Juli 1886 schon stark erkältet ankam; hier leitete seine Tochter, die seit 1883 verwitwete Cosima Wagner, zum ersten Mal selbstständig die Festspiele. Nach kurzem aber schwerem Leiden setzte eine Lungenentzündung Liszts Leben am 31. Juli 1886 ein Ende. Da von ihm bezüglich seiner letzten Ruhestätte mehrere widersprüchliche Aussagen verblieben, setzte ihn Cosima schließlich in Bayreuth zur ewigen Ruhe.

In seinen letzten, schweren Jahren wurde Liszt durch die Liebe seiner aus ganz Europa, ja, sogar aus Amerika zu ihm kommenden Schüler eine große Genugtuung zuteil. Einige von diesen, wie auch ihn verehrende Freunde, hinterließen uns über seine Unterrichtsmethode sowie seine Ansichten bezüglich des Vortrags einzelner Werke wertvolle Aufzeichnungen. Nicht nur diejenigen der großen Weimarer Epoche, sondern auch spätere Schüler (darunter Sophie Menter, Eugen d‘Albert, Emil Sauer, Alexander Siloti, Arthur Friedheim, Moritz Rosenthal, Fredrick Lamond) durchliefen dann eine großartige Karriere, und von mehreren von ihnen sind uns – anders als von Liszt – sogar auch Tonaufnahmen überliefert.

 

Viele von diesen trugen die Liszt-Tradition bezüglich der Didaktik weiter, wahrscheinlich mit der größten Kontinuität gerade an der Budapester Musikakademie (heute Liszt-Ferenc-Universität für Musik), wo der Meister selbst von der Gründung an bis zu seinem Lebensende lehrte. Zwei seiner hervorragenden ungarischen Schüler, István Thomán und Árpád Szendy, wurden dort, kurz nach Liszts Tod, als Klavierlehrer berufen. Ernő Dohnányi und auch Béla Bartók waren Schüler von Thomán an der Musikakademie, um dann daselbst, zusammen mit anderen Thomán- und Szendy-Schülern, als Lehrer das Erbe weiterzureichen, dessen Fortdauer bis heute nachweisbar ist. Liszts Wirkung war auf die zeitgenössischen wie auch nachfolgenden Komponisten unschätzbar. Seine Ermutigung und praktische Unterstützung half, außer den schon erwähnten, auch solch bedeutenden Musikern zu Beginn ihrer Laufbahn wie Smetana, Saint-Saëns, Grieg oder die Mitglieder des russischen „Mächtigen Häufleins“. Laut Bartók „haben seine Werke auch auf die nach ihm kommende Generation fruchtbarer gewirkt als die von Wagner; in seinen Werken spielte er auf so viele neuartige Möglichkeiten an, ohne diese selbst bis zum äußersten auszuloten, dass wir ungleich mehr Motivation von ihm erhielten als von Wagner.” Die Präsentation seiner kompositorischen Sinnesart, in einem noch vielfältigeren Umfang als bisher, ferner die Bestandsaufnahme seines reichen Lebenswerkes ist die Hauptaufgabe der aktuellen Zweihundertjahrfeier.

Mária Eckhardt

Liszt Ferenc Gedenkmuseum und Forschungszentrum